SpendenButton

Neue Mitbewohner in Corona-Zeiten:

Haustiere in MV gefragter denn je

CoronaHaustiereTiere und Weihnachten sind jedes Jahr wieder ein Thema. Doch dieses Jahr stellte sich die Frage, ob sich Herrchen und Frauchen einen neuen Liebling zulegen wollen, schon früher: In Corona-Zeiten schnellte die Nachfrage nach Haustieren nach oben. Nicht immer war das eine gute Idee, wie der Chef des Tierheims Schlage (Kreis Rostock) weiß.

Rostock/Schlage
Seit der Gründung des Rostocker Tierschutzvereins vor 30 Jahren hat Norbert Schlösser so etwas nicht erlebt: Dem Leiter des Tierheims im nahen Schlage sind im Corona-Jahr Hunde, Katzen und Kleintiere regelrecht aus den Händen gerissen worden. Kuscheln in Zeiten des Lockdowns, Nähe anstelle der vorgeschriebenen Distanz – die Sehnsucht nach einem Ersatz für fehlende soziale Kontakte scheint groß zu sein. Schlösser staunt: „Es gab sogar Leute, die angefragt haben, ob sie ein Tier vorübergehend ausleihen könnten. Aber das geht natürlich nicht.“
Auch abgesehen von der Pandemie habe sich die Arbeit des Vereins seit seinen Anfängen deutlich verändert. Kurz nach der Wende, als etliche Betriebe ihre Türen geschlossen haben und Menschen kurzfristig weggezogen sind, wurden viele Tiere einfach zurückgelassen. Schlösser erinnert sich: „Damals bekamen wir regelmäßig Anrufe: ,Da und da macht nächste Woche Firma xy zu, kommt mal hin, da sind 20 Katzen.‘“ Zu DDR-Zeiten sei das Thema Tierwohl noch deutlich kleiner geschrieben worden als heute. Aber, obwohl Hund, Katze und Co. heute einen ganz anderen Stellenwert in der Gesellschaft hätten, gäbe es trotzdem oftmals kein echtes Verständnis für ihre Bedürfnisse.
Manche Tiere brauchen vor Vermittlung eine Therapie
Eine Kranken- und Quarantänestation, drei große Hundehäuser, zwei Katzenquartiere und eine Reptilienunterkunft gibt es auf dem 20 000 Quadratmeter großen Heimgelände in Schlage. Nachdem in diesem Jahr ungewöhnlich viele Schützlinge vermittelt werden konnten,
sind derzeit fast nur noch „Sozialfälle“ in den Zwingern und Käfigen, Tiere also, die schlecht behandelt wurden und vor einer Vermittlung erst einmal eine Therapie brauchen.
Der alte Hofhund zum Beispiel, der wie eine Sphinx auf seiner Hütte liegt und unmissverständlich signalisiert, dass er hier der Boss ist. Oder sein Artgenosse „Baby“, der von seinem Besitzer geprügelt wurde, sodass er jetzt zitternd in einer Ecke sitzt und nervös auf jedes kleinste Geräusch reagiert. Norbert Schlösser erzählt von Schildkröten, die von vielen Menschen als Ein-Euro-Stück-große Terrarienbewohner gekauft werden und die mit durchbohrtem Panzer im Heim landen, weil sie gewachsen sind und dann mit einem Band im Garten angebunden wurden. Und er führt Besucher gerne dorthin, wo die Exoten untergebracht sind.
GeschenkTierheim wird mit Exoten überrannt
„Früher ist hier ab und an mal eine kleine Natter abgegeben worden. Seit zehn Jahren aber werden wir überrannt.“ Immer häufiger kommt es vor, dass vor dem Heimeingang plötzlich irgendein Sack liegt, der sich ganz offensichtlich bewegt. Ihn zu öffnen, bedeutet für seine Mitarbeiter regelmäßig ein Risiko, denn sie wissen ja nicht, was ihnen dabei möglicherweise entgegenspringt. Ein Beispiel: Die 2,50 Meter große Riesenschlange, eine Boa, die seit drei Jahren in Schlage zu Gast ist. Sie wurde in einer vernagelten Kiste abgegeben – und versuchte beim Öffnen sofort zum Angriff überzugehen.
Schlösser schüttelt den Kopf: „Für viele Leute sind solche Exoten Statussymbole. Aber sie unterschätzen vollkommen, wie viel Arbeit sie machen und welche Kosten im Laufe der Zeit zusammenkommen.“ Am Beispiel der Boa rechnet er vor: „Die braucht ständig 28 bis 30 Grad Raumtemperatur, mit jedem Zentimeter, den sie wächst, braucht sie mehr Futter. Wenn sie krank ist, dann hilft kein normaler Tierarzt, dann muss sie in eine Spezialklinik und es ist pro Meter Länge eine Person nötig, die sie festhalten kann.“ Was vielen auch nicht bewusst ist: So eine Riesenschlange wird ohne Weiteres mehr 40 Jahre alt.
Ganz gleich, ob Python, Zwergkaninchen oder Katze: Gerade mit Blick auf das bevorstehende Weihnachtsfest rät Schlösser dringend, sich vor dem Kauf eines neuen Hausgenossen gut beraten zu lassen – damit das Kuscheltier von heute nicht morgen schon wieder im Heim landet.
Von Katja Bülow

Quelle Ostseezeitung