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Tierschützer aus Neustrelitz

für Kastrationspflicht

Kastrationspflicht1Bei Anruf: Notfell. Bei Manuela Jeschke klingelt das Handy in diesen Sommertagen oft. Notfelle gibt es überall in und um Neustrelitz. Es sind Katzenbabys, die ohne Mutter in Gartenkolonien herumtapsen. Es können auch wenige Tage alte Junge sein, deren Mutter überfahren wurde. Oder es sind verschmuste Miezen, ausgesetzt in der Urlaubszeit. Jeschke und ihr Team vom Neustrelitzer Katzenparadies rücken meist sofort aus. „Ich kann da nicht warten“, sagt die 52-jährige Gründerin der privaten Tierschutzinitiative. Manchmal kommen die Helfer trotzdem zu spät. Dann sind sie tot.

Erst mal bekommt jeder einen Namen
Ein Gewitterschauer, eine kalte Nacht, das kann für eine Handvoll Katzenbabys im Freien schon zu viel sein. „Am Anfang war es Mitleid“, erläutert Jeschke ihr Engagement. Wenn sie jetzt ins Katzenparadies kommt, ein kleines Wohnhaus mit großem Gartengrundstück nahe einer Datschenkolonie, ist es noch viel mehr: Eine große Liebe für alle mehr als 50 Samtpfoten hier. Bobby, den Tiger, Peterle, den Schwarz-Weißen oder Sunny, die Rote. Jeder neue Bewohner bekommt hier als Erstes einen Namen. Manchmal warten Dutzende Fellnasen schon an der Pforte zum Paradies auf Futter und Streicheleinheiten. Denn Gitter gibt es hier für gesunde, erwachsene und kastrierte Tiere nicht. Sie können frei wählen zwischen den Katzen-Wohnzimmern im Haus und einem Garten, der aussieht wie ein Kinderspielplatz in Miniatur. Nur wer neu ist, krank oder noch zu klein für das Draußen, lebt erst einmal in liebevoll ausgestatten Gehegen.

150.000 Katzen landen jedes Jahr im Heim
Kastrationspflicht2Wenn Manuela Jeschke einen Wunsch frei hätte? „Die Kastrationspflicht für Freigänger, damit wir weniger Elend sehen“, sagt sie. Das Katzenparadies, 2019 eröffnet, ist das dritte Tierheim allein in Neustrelitz, neben dem kommunalen und einer weiteren Privatinitiative. 15 Heime, die zum Deutschen Tierschutzbund gehören, gibt es in Mecklenburg-Vorpommern. „Und das reicht immer noch nicht“, sagt Jeschke. „Katzen haben keine Lobby.“ Und weil es keine Kastrationspflicht gebe, würden zu viele geboren - um dann zumeist jung und qualvoll zu sterben.

Nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes sind Miezen mit mehr als 40 Prozent die häufigsten Tierheimbewohner. Rund 150.000 Samtpfoten werden bundesweit jedes Jahr allein in den Heimen aufgenommen, die zum Schutzbund gehören. Zu den Hauptursachen des Elends zählten unkastrierte Hauskatzen, die mit frei lebenden Artgenossen immer neue Nachkommen zeugten, sagt Sprecherin Lea Schmitz. „Um die Situation langfristig und nachhaltig zu verbessern, braucht es dringend eine verpflichtende Kastration von Katzen mit Freigang aus Privathaushalten.“ Daneben sollten aber auch frei lebende Katzen kastriert und anschließend weiter an Futterstellen betreut werden. Denn sonst könne der Kreislauf des Miezenleids nicht durchbrochen werden.

In Neustrelitz hat sich der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Butzki im vergangenen Jahr ein Bild von der ehrenamtlichen Arbeit im Katzenparadies gemacht. „Sehr hat mich damals beeindruckt, was in diesem alten ehemaligen Wohnhaus und auf dem großen Grundstück innerhalb eines halben Jahres seit Vereinsgründung entstanden ist“, sagt er nun: Das Freigänger-Konzept, gute Hygiene und alle anderen Anforderungen an modernen Tierschutz.

Am Rand der Kapazität
Die Zahl der unterzubringenden Miezen aber steigt stetig, allein im Juli hat das Team mehr als 50 gefundene Kitten aufgenommen, medizinisch versorgt und impfen lassen. Die Tierärzte, mit denen das Heim kooperiert, stehen hinter dieser Arbeit. Auf der Facebook-Seite sind aber auch Katzenbabys zu sehen, für die Retter zu spät kamen. Auch solche Bilder gehören zur Realität.

Erwachsene Miezen kommen nach Absprache aus benachbarten Tierheimen, die schon überfüllt sind, oft noch dazu. Auch das Katzenparadies ist zurzeit am Rand seiner Kapazität, trotz vieler erfolgreicher Vermittlungen. Pflege-, Futter- und Tierarztkosten wachsen. 3000 Euro Ausgaben seien es im Schnitt im Monat, rechnet Gründerin Jeschke vor. 1000 Euro kämen durch Spenden und Patenschaften wieder herein. Tierliebhaber schickten Futterpakete. Manchmal steht ein Handwerker vor dem Tor und bietet ehrenamtlich seine Dienste für Haus oder Grundstück an. Doch das Gehalt für die professionelle Tierpflege schießt Jeschke von ihrem Einkommen privat dazu. Sie sorgt auch dafür, dass es nicht nur ein Paradies für Katzen ist. Die Familienhilfe kommt mit Kindern und Teenagern zu Besuch, so mancher Praktikumsplatz hat sich so schon ergeben - oder ein ganzes Qualifikationsjahr.

Kastrationspflicht3Ein Erfolg für den Tierschutz
Politiker Butzki half in diesem Jahr mit 5000 Euro aus dem Strategiefonds, unter anderem für ein großzügiges neues Gehege. Als Mitglied im Agrarausschuss setzt er sich auf Landesebene aber auch mit dafür ein, das Katzenelend grundsätzlich zu verkleinern. Erstes Ergebnis: Seit Juli gibt es die Verwaltungsvorschrift der Landesregierung zum Umgang mit Fundtieren. Sie bedeutet, dass herrenlose Haustiere rechtlich Fundstücken gleichgestellt sind. So seltsam das klingt, heißt, dass eine Katze, die als Fundtier beim Ordnungsamt gemeldet wird, sechs Monate in Obhut genommen werden kann - und die Tierheime die Kosten dafür erstattet bekommen sollen. Vom Städte- und Gemeindebund wegen der Finanzierung kritisch gesehen, gilt das als Erfolg für den Tierschutz. So sieht es auch Butzki. „Es ist ein erster Schritt, auch die Situation der Tierschutzvereine im Hinblick auf die Versorgung der Katzen zu erleichtern“, sagt er. Der größte Schritt aber, eine Kastrationspflicht für Freigänger-Katzen, fehlt noch. Bisher hat das Landwirtschaftsministerium allein zum Kastrieren, Kennzeichnen und Registrieren von Katzen geraten und aufgerufen.

Bundesweite Regelung würde helfen
Am besten wäre eine bundesweite Regelung, heißt es beim Tierschutzbund. Aber auch die Bundesländer könnten das verfügen - und die Kommunen. Dazu entschieden hätten sich in Mecklenburg-Vorpommern bisher erst Rostock und das Amt Schwaan. Für den Landkreis Mecklenburgische Seenplatte liegt seit vergangenem Herbst eine Petition mit mehr als 3000 Unterschriften vor. Ein rechtlicher Rahmen würde nach Einschätzung des Tierschutzbundes dazu führen, dass der Großteil der Katzenhalter beim Kastrieren freiwillig mitziehe. „Ähnlich wie bei der Anschnallpflicht“, sagt die Sprecherin. „Das ganze Thema würde dann stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt.“

Schreckliches und Schönes
Für diesen Herbst hat Andreas Butzki Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) ins Katzenparadies eingeladen. Dort kennt die Eigenheiten der Samtpfoten kaum jemand so gut wie ihre Pflegerin Kathrin Erdmann. „Diese ganzen Schicksale“, sagt sie. „Ich habe schon so viele Katzen sterben sehen. Einmal wollte ich das alles nicht mehr.“ Doch dann habe sie sich wieder aufgerafft. Es gebe auch so viel Schönes, all die Erfolgserlebnisse. Kranke Katzen, die wieder gesund werden. Wenige Tage alte Miezchen ohne Mutter, die eine erfahrene ehrenamtliche Helferin zu Hause mit der Flasche durchbekommt. Dazu die Erfolge mit den systematischen Kastrationen: Eine ganze Gartenkolonie sei mit diesem Konzept in diesem Sommer ohne neue Jungtiere geblieben, berichten Vereinsmitglieder. Das Schönste für das Katzenparadies aber ist, wenn neue Halter Fotos von zufriedenen Ex-Bewohnern mailen.

Kastrationspflicht4Ein Tier nur für den Lockdown?
Das Corona-Jahr habe bisher zu einem ungewöhnlichen Haustier-Boom geführt, berichtet Lea Schmitz vom Tierschutzbund. Leider manchmal auch mit skurrilen Vorstellungen. Familien wollten zum Beispiel nur für die Lockdown-Zeit ein Tier aufnehmen und es danach ins Heim zurückbringen. „Das ist ja vielleicht gut gemeint, aber aus Tierschutzsicht natürlich nicht sinnvoll“, erläutert die Sprecherin. Denn Tiere sollen ein liebevolles Zuhause für immer bekommen - eine Rückkehr ins Heim sei für sie purer Stress. Bisher seien bundesweit auch in vielen großen städtischen Tierheimen nicht mehr Tiere vermittelt worden als sonst. Das habe sicher auch an der Einzelberatung mit Termin gelegen, eine Neuregelung wegen der Pandemie. Je intensiver ein Vorgespräch, desto besser klappe eine erfolgreiche Vermittlung.

Auch im Katzenparadies schauen Manuela Jeschke und Kathrin Erdmann sehr genau, wohin ihre geretteten Miezen kommen. „Bei einem schlechten Gefühl hab ich unsere Katzen zurückgeholt, da kenn ich nichts“, sagt die Tierpflegerin. Die Gründerin packt mit Blick auf all die Schicksale aber manchmal auch die Wut. „Es ist diese Egal-Einstellung vieler Leute“, sagt Jeschke. Sie sagten, die Natur regele das schon. „Ja, das tut sie auch. Aber wie qualvoll Katzen sterben, die nicht geimpft sind, nicht entwurmt und als Jungtiere schon wieder Junge bekommen - das interessiert dann nicht.“ Es gebe zum Beispiel gerade auf den Dörfern noch immer den Irrglauben, dass eine junge Katze eben einmal Junge bekommen müsse.„Das stimmt einfach nicht“, betont Jeschke. „Das ist, als ob eine Vierzehnjährige ein Baby bekommt.“ Wenn sie noch zwei Wünsche frei hätte? „Ein Tierschutzauto für unsere Arbeit“, sagt Jeschke. Und irgendwann genug Mittel, damit sich das Katzenparadies selbst trägt.

Quelle: Schweriner Volkszeitung