SpendenButton

Tausende Tiere in Ferkelzuchtanlage verbrannt:

Das Grauen von Alt-Tellin

AltTEllin5Nur einen halben Tag brauchte es, bis die größte Ferkelzuchtanlage Europas in Schutt und Asche lag. Die Anlage in Alt Tellin brannte fast komplett nieder, der Großteil der Tiere ist tot. Anwohner und Feuerwehrleute berichten von schrecklichen Bildern.

Alt Tellin Bärbel und Rainer Jahnke stehen an der Grundstücksgrenze ihres Gehöfts direkt an der Landstraße zwischen Alt Tellin und Daberkow. Mitten im ländlichen Vorpommern. Weit und breit ist kein anderes Haus, nur Felder und ein paar Bäume. Einige Meter von dem Ort, wo die beiden stehen, grast ein Pony. Nur einen Kilometer weiter, einmal direkt über die Felder, verbrennen tausende Schweine in ihren Ställen. Dort ist auch der Sohn der beiden gerade. Er ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Völschow, versucht sein Bestes, um zumindest einige der Tiere zu retten. „Wir machen uns Sorgen um ihn,“ sagt Bärbel Jahnke. „Das ist so schlimm“, gibt sie hinterher. „So schlimm.“ Viele Schaulustige haben angehalten. Sie stehen entlang der Straße an ihren Autos, sitzen auf den Dächern. Einige filmen mit ihren Handys, andere halten sich die Hand vor den Mund. Was an diesem Dienstagmittag in Alt Tellin passiert, wird wohl keiner von ihnen je gesehen haben und hoffentlich auch nie wieder sehen müssen. Vor ihren Augen türmt sich eine pechschwarze, chemisch riechende Rauchsäule auf. Mehrere Hundert Meter steigt sie auf, bevor sie vom Wind nach Osten getragen wird.

Brand breitet sich rasend schnell aus
Rückblick: Um 9:02 Uhr morgens geht der Notruf bei der Jarmener Feuerwehr ein: Ein Brand! Wo? In der Schweinezuchtanlage! Die Kameraden rücken aus. Wenige Minuten später kommen sie an der größten Ferkelzuchtanlage Europas an. Hier in Alt Tellin steht sie. Insgesamt sind es 18 Ställe. Jeder 90 Meter lang. Wellblechdach. Wellblechwände mit Löchern wie eine Käsereibe – für die Belüftung. 10 800 Muttertiere leben hier eng an eng in kleinen Buchten. Stehen und liegen geht, drehen nicht. Sonne sehen diese Tiere keine. Dafür erleben sie jetzt eine Feuerhölle.

Feuerwehr ist machtlos gegen das Feuer
„Ich habe in der Küche gestanden und gedacht, na nun regnet es doch heute“, erinnert sich Bärbel Jahnke an den Morgen zurück,als die Rauchwolke plötzlich den Himmel verdunkelte. Ihr Mann schüttelt den Kopf. Er war lange Jahre Tierpfleger an der Universität in Greifswald, hatte schon vor der Brandkatastrophe kein Verständnis für diese Art der Tierhaltung vor der eigenen Tür. Wie ihm geht es vielen. Seit Jahren protestieren Umweltverbände und Tierschützer gegen die Anlage – ohne Erfolg.

In Alt Tellin wurden nach Angaben der Betreiber bis zu 10 000 Muttersauen gehalten, die Tausende Ferkel werfen und eine Zeit lang aufziehen. Wie Kreissprecher Achim Froitzheim sagte, konnten nur rund 1500 Tiere gerettet werden. Mitarbeiter hatten die Schweine auf das große und abseits gelegene Gelände hinausgescheucht. Sie sollen nun mit Lastwagen in einen anderen Teilbetrieb in Brandenburg gebracht werden.

Betreiber der Anlage ist die Landwirtschaftliche Ferkelzucht Deutschland (LFD) Holding, die als einer der größten deutschen Schweinezuchtbetriebe gilt. Sie war 2020 von der Schweizer Terra Grundwerte AG übernommen worden. Zur LFD gehörden nach eigenen Angaben 11 Anlagen mit 400 Mitarbeitern und rund 55 000 Sauen in Ställen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg, Sachsen und Bayern. Mit Alt Tellin, Medow und Fahrbinde sind drei der elf Standorte in Mecklenburg-Vorpommern.

„Als wir angekommen sind, haben bereits fünf Ställe in voller Ausdehnung gebrannt.“ Karsten Windmüller ist der Pressekontakt der Feuerwehren an diesem Tag. Als er am späten Nachmittag sein erstes Statement für die Presse abgibt, stehen ihm die Anstrengungen des Tages ins Gesicht geschrieben, er ist aber guter Dinge. Das Schlimmste ist geschafft. Es brennt zwar immer noch, aber die schwarze Rauchsäule hat sich in weißen Qualm verwandelt, der dicht über den Boden weht.

Biogasanlage wird zur Gefahr für Feuerwehr
Am Mittag sah die Situation noch ganz anders aus: Auf dem Gelände sind nicht nur Ställe und Büros, sondern auch mehrere Silos einer Biogasanlage – voll mit Methan. Der Energielieferant wird den Rettungskräften fast zum Verhängnis. Weil der Wind falsch steht, drohen die Flammen auf die Biogasanlage überzugreifen. Das wäre katastrophal. Mit vereinter Kraft gelingt es den Kameraden, eine Wassersäule zwischen das Flammenmeer und die Anlage zu bringen.

„Das ist wie bei der Papstwahl, weißer Rauch ist gut.“ Windmüller antwortet konzentriert und pragmatisch. „Wenn das Feuer aus ist, war der Einsatz ein Erfolg.“ Auch wenn klar wird, was er meint: Die Bilder, die sich hinter ihm abspielen, sind nur mit viel Fantasie ein Erfolg. Keiner der Ställe wurde an diesem Tag gerettet. Sie sind alle den Flammen zum Opfer gefallen. Alle Freiwilligen Feuerwehren aus dem Amtsbereich Jarmen-Tutow und weitere aus Anklam-Land waren im Einsatz. Am Nachmittag noch 50 Einsatzkräfte aus neun Wehren.

Schweine haben entsetzlich gequiekt
Windmüller war selbst mit im Einsatz. Zwei Trupps, Windmüller mit dabei, wollten in den 90 Meter langen Gebäuden löschen – die Flammen drängten sie wieder zurück. „Dass ein Feuer sich so schnell ausbreitet, ist schon krass,“ erinnert er sich an die wenigen Minuten, die er mit seinen Kameraden in dem Stall verbrachte. Als die Flammen über sie schlugen, mussten sie sich zurückziehen. Ungeschützt stehen die Ställe direkt im Wind. Die Belüftungslöcher geben dem Feuer zuverlässig Sauerstoff. Innerhalb von nur zehn Minuten stehen einige der riesigen Ställe in Flammen.

Bärbel Jahnke hat diese Szenen aus der Entfernung, aber mit umso mehr Grauen erlebt. „Man hat gehört, wie die Ställe zusammengebrochen sind, wie die Schweine gequiekt und geschrien haben.“

Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus (SPD) hat den Brand in der Schweinezuchtanlage als „Tragödie“ bezeichnet. „Solche Großanlagen sind schwer zu „händeln“ und wie man sieht, gibt es eben keine garantierte Sicherheit für die Tiere“, erklärte Backhaus. Die Menschen wollten aber, dass Nutztiere besser behandelt werden und dass ihr Schutz garantiert werden kann. Ein Umdenken bei der Planung solcher Mastanlagen, hin zu kleineren und besser beherrschbaren Einrichtungen, forderten Linke sowie Umwelt- und Tierschutzverbände.

Bis auf Versicherungsvertreter, die den Besitzer vertreten und private Sicherheitsbeamte mitgebracht haben, gibt es kein Zeichen vom Besitzer. Am frühen Nachmittag fahren die ersten Transport-LKW zu der da schon komplett zerstörten Anlage. Nur aus wenigen Ställen konnten Muttertiere in die Freiheit gerettet werden. Sie laufen auf dem umzäunten Gelände, grasen, schnüffeln auf dem Boden zwischen den Einsatzkräften.

Quelle Ostseezeitung