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„Das ist kaum

auszuhalten

PutenstallSie steigen illegal in Ställe ein und decken Tierquälereien auf: Ein Tierschutzaktivist berichtet über das Elend hinter den Türen der Zuchtindustrie

Von Torsten Roth
SCHWERIN Die Bilder lassen ihn nicht mehr los: Sauen eingequetscht in Abferkelgittern, Mastschweine auf Spaltenböden aus Beton mit wenig Platz zum Auslauf, kranke Tiere mit Wunden an den Läufen, die nur unzureichend betreut werden. „Das belastet“, erzählt Manfred Berg*: „Das ist kaum auszuhalten.“ Wie die Bilder von einem Viehwirt, der mit einem Knüppel auf den Kopf eines jungen Schweins in einem anerkannten Zuchtbetrieb in Vielank im Landkreis Ludwigslust-Parchim drischt. Fünf Mal, sechs Mal – Todeskampf eines Läufers, der auch nach zehn Knüppelschlägen noch am Leben ist und leidet. Erst ein Bolzenschuss beendet eine halbe Stunde später die Qual. Leiden auch im Hühnerstall, selbst in Öko-Betrieben: kahlgepickte Legehennen mit schmerzhaften Entzündungen, Hühner halbnackt und sterbend auf toten Artgenossen stehend, Kannibalismus und ausgepickte Federkleider. Die Schreckensbilder sieht Berg immer wieder. Bilder aus Ställen in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, aus Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen – überall. „Eine Zeitlang kann man das ausblenden“, erzählt er. Irgendwann gehe es aber an die Seele: „Die Haut wird dünner.“

Entsetzen im Stall: Seit den 90er-Jahren engagiert sich Berg im Tierschutz. Hunde, Katzen, Hühner in Not: Neue Ställe habe er mitgebaut, dafür gesorgt, dass die Tiere ordentlich versorgt wurden – im Ehrenamt neben seinem akademischen Job. Doch als er vor mehr als 20 Jahren das erste Mal einen Schweinestall mit Hunderten Tiere auf engstem Raumvoninnengesehenhabe, die Haltungsbedingungen in industriemäßigen Schweineställen – „das hat mich schockiert“, erinnert sich der Mittfünfziger und zog Konsequenzen. Berg machte die Bilder seinerzeit öffentlich. Auf einmal reagierten auch die Kontrollbehörden, erzählt er. Seitdem ist Berg einer der Tierschutzaktivisten in Deutschland, die immer wieder neue Fälle von Tierquälereien in deutschen Ställen aufdecken. Seitdem ist er auch erst Vegetarierer geworden, später VeganerundlehntalleNahrungsmittel tierischen Ursprungs ab. Früher seien es eine Handvoll Mitstreiter gewesen. Heute sind wenige Dutzend, schätzt Berg – in allen Regionen verteilt. Genaue Zahlen will er nicht nennen: „Man kennt sich“, meint er nur. Alle Gruppen arbeiteten für sich, unterstützten sich bei den Einsätzen aber auch. Zu erkennen will sich Berg lieber nicht geben – keine Namen, keine Ortsangabe. Zu groß die Sorge, erkannt zu werden. Denn die FilmeundFotosderAktivisten gelangen nur deshalb an die Öffentlichkeit, weil sie heimlich in Ställen Kameras installieren, um die Schweinereien öffentlich zu machen – nachts, illegal, gegen das Gesetz, hinter den Mauern der deutschen Tierindustrie.

Immer wieder ziehen Berg und seine Recherche-Aktivisten los – in Teams: mit Kameras, Sprechfunkgeräten, in Overalls, mit Mundschutz und Handschuhen – damit sie keine Keime in die Ställe eintragen, erklärt Berg. Sie wissen was sie tun: Kameraführung, Filmen, Beweisfolge sichern. „Wir haben es gelernt, professionell zu arbeiten“, sagt der Aktivist. Stets würden sie zunächst eine aktuelle Tageszeitung und die Standortangabe eines GPS-Geräts ablichten – als Beweis dafür, dass sie vor Ort waren. Und sie hielten sich an Grundsätze, versichert Berg: keine Einbrüche, keine Zerstörungen, kein Betreten von Privaträumen. Die Ställe seien so gut wie immer zugänglich: „Irgendein Fenster oder eine Tür stehen immer offen.“ Hausfriedensbruch bleibt es trotzdem – kein Einbruch, betont Berg: „Wir stehlen nicht.“

Alles will Berg denn doch nicht preisgeben. Nur noch so viel: Manchmal gebe es Hinweise von Außenstehenden auf Tierquälerei, andermal habe er selbst Anhaltspunkte für Verstöße gegen den Tierschutz. Berg weiß, worauf er achten muss.

Der gestandene Mann, der sogarnichtalsSpinner,fürden manche Tierschützer halten, daherkommt. Manfred Berg, der tagsüber ganz normal einer Arbeit nachgeht, der mit seiner Lebensgefährtin zusammenlebt – in mancher Nacht dann aber aus der Not heraus, aus Sorge um die Tiere, mitdemGesetzaneckt.Früher sei er selbst noch über Zäune geklettert und hätte Kameras in Ställen installiert. Inzwischen steht er außerhalb der Ställe Schmiere: „Ich kann die Bilder nicht mehr sehen“ und wolle das nicht mehr so nah an sich heranlassen. Jüngere Leute würden ihn jetzt unterstützen. Was sie dann häufig sehen, macht sie fassungslos – die Grausamkeiten hinter den Stallmauern, verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit: Tiere, die in ihrem eigenen Urin und Kot stehen. Kranke Tiere, die nach den Regeln zwar in einer gesonderten Buchte mit weichem Einstreu gehalten werden müssten, denen aber nur noch eine Gummimatte zugestanden werde – „um das Gewissen der Tierhalter zu beruhigen“, meint Berg. Für ihn keine Einzelfälle mehr: Das sei die Regel, habe er festgestellt. „Das ist kein Vergnügen.“ Aber er könne nicht anders: Schon immer habe er großes Mitleid mit den notleidenden Tieren gehabt: „Das ist bei mir sehr ausgeprägt“, sagt der gestandene Mann.

Knueppeltod2Erst vor wenigen Tagen hatten sie einen weiteren Fall von Tierquälerei in einem anerkannten Zuchtbetrieb im mecklenburgischen Vielank aufgedeckt. Material wie dieses geben die Rechercheure an Tierschutzorganisationen wir AnimalRightsWatch(Ariwa)– einemVerein, der die Bilder öffentlich macht und der den Komplettausstieg aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung fordert. Wie auch Tierschutzaktivist Berg: „Mit einer Reform ist das System nicht in den Griff zu bekommen – man muss es abschaffen“. Solange Tiere als Ware und Produktionsmittel gelten, würden grausame Zustände unvermeidlich und Tierquälerei an der Tagesordnung bleiben, fürchten die Ariwa-Aktivisten. Selbst regelmäßige, flächendeckende Behördenkontrollen würden daran nichts ändern. Man könne auch ohne Tiere zu essen ein tolles Leben führen, ist Berg überzeugt – und die Gesellschaft allein mit pflanzlichen Produkten satt werden. „Warum Tiere töten, wenn man es nicht muss?“, fragt sich Berg. Auch Tiere hätten ein Recht auf Leben. Egal wie sehr sich die Bedingungen in der industriellen Tierhaltung auch verbessern mögen: „Am Ende der Kette steht immer der Tod der Tiere“, meint Berg. Das geht den Bauern dann doch zu weit: Mit ihren Aktionen bringen die TierschutzaktivistendiedeutscheAgrarlobby gegen sich auf. Fälle wie in Vielank seien nicht zu tolerieren, stellte Bauernpräsident Detlef Kurreck klar. Doch das Eindringen in Stallanlagen sei illegal, verletzte die Privatsphäre der Mitarbeiter und Eigentümer und sorge für Angst bei den Beschäftigten vor permanenter Überwachung. „Das geht so nicht“, meinte Kurreck. Die Aufregung ist groß: Die Agrarlobby hat indes ganze Arbeit geleistet. Die wenigen Dutzend Tierschutzaktivisten in Deutschland haben es sogar in den Koalitionsvertrag der Großen Koalition in Berlin geschafft: „Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden“, versichern dort die Parteien den Bauern Beistand. Doch inzwischen denken sogar Gerichte um: 2013 waren Tierschutzaktivisten in eine Schweinemastanlage mit 60 000 Tieren in Sachsen-Anhalteingebrochen. Der Eigentümer des Betriebes hatte sie wegen Hausfriedensbruch verklagt. Das Oberlandesgericht Naumburg befand aber später, dass die Angeklagten einen Skandal – schwerste und dauerhafte Missstände – aufgedeckt hätten, einen Notstand, der kaum zu überbieten sei. Dies rechtfertige die Verletzung des Hausrechts, das Tierwohl sei höher einzuschätzen. Ein Fehlurteil, kritisierte Bauernchef Martin Piehl. Einbrüche in Stallanlagen verletzten das Eigentumsrecht, verurteilte Piehl derartige Aktionen: „Der Zweck heilige nicht die Mittel.“ Die Bilder zeigten Einzelfälle, würden aber „kein Bild der Gesamtsituation in den Ställen“ dokumentieren.

Das Urteil sorgt indes für Rückenwind für Tierschutzaktivisten wie Berg. Ihm bleibt ein Trost: Es gebe immer mehr Leute, die sich im Tierschutz engagieren und gegen die industriemäßige Tierhaltung protestieren.

*Name geändert Quelle Schweriner Volkszeitung